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Ein „alternatives“ Chorkonzert-Programm

Montag, 25. April 1988

Der Tübinger Ernst-Bloch-Chor startete seine Premiere im Nagolder Lemberg-Musiksaal

[...] die junge Musikerin Anne Tübinger [..] scharte nun eine neue Formation um sich unter Berufung auf den (in Tübingen verstorbenen) gesellschaftskritischen Philosophen Ernst Bloch, der einmal bekundete: „Musik ist ganz früh in meinem Leben gewesen. Wenn ich keine bestimmte Zuneigung zur Philosophie gehabt hätte, wäre ich Musiker geworden, Dirigent...“

[..] die Nachfahren [...] fühlen sich „erst am Vorabend einer beginnenden Menschheitsgeschichte“ und wollen das mit Liedern aus uralter oder Texten aus jüngster Zeit verdeutlichen. Angefangen mit dem wunderschönen, wehmütigen alten Lied „Es geht ein dunkle Wolk herein“.

[...] bekundeten Respekt, in noch wenig beackerte chorische und literarische Gebiete vorstoßen und gar mit Ingeborg Bachmanns „Reklame“ (in der Fassung von Anne Tübinger) das Melodram neu beleben zu wollen. Trotz des kunterbunt zusammengewürfelten Programms ist ein Kompliment fällig für das Aufspüren unbekannter alter Texte: Der Bauernhimmel - der Untertan - Song von der Bürgertugend - Ich bin ein freier Baurenknecht. Dazu hätte man sich den Abdruck wünschen mögen [...].

Ein Kompliment auch für die instrumentalen Arrangements mit Blockflöte, zwei Violinen, zwei Gitarren, zwei Akkordeons, Scheitholz, Maultrommel. Anstelle einer „Moderation“' standen vier Bloch-Zitate, untermalt mit Gitarrenstücken des Cubaners Leo Brouwer. Die Gesänge über Tucholsky-Texte müssen ebenso erwähnt werden wie jene beiden jiddischen Lieder nach Hirsch Glik [...].

Seien noch zwei köstlich-witzige Persiflagen über gängige deutsche volkstümliche Lieder erwähnt: „Horch wer tritt die Türe ein“ und „Es ist alles so wunderbar“ von den norddeutschen Liedermachern [...] „Fortschrott“. Zur Interpretationsqualität sei jetzt nur angemerkt, daß dem rund 50köpfigen Ensemble manches recht gut gelang, einiges weniger, noch unsicher. [...]

Immerhin gelang es am Sonntagabend über 60 Zuhörer, auch von auswärts angereiste, in den Musiksaal der Lembergschule zu locken. Und die geizten nicht mit Beifallsbekundungen, so daß sich Anne Tübinger zur Wiederholung des Fortschrott-Medleys „Horch wer tritt die Türe ein“ herausgefordert fühlen durfte. Weil im kommenden Jahr die „Revolutionsfeiern“ (1789/1849) anstehen, sind wir gespannt, was die Bloch-Choristen dann anzubieten haben.

Werner Zintgraf (Datum und Zeitung nicht mehr bekannt, wohl 25./26.4.1988)


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